Inntal, Juni – August 1982, Ausgrabungsprotokoll 17/2

Inntal, Juni – August 1982, Ausgrabungsprotokoll 17/2

Die weitere Einordnung in die arteologische Systematik erforderte neben einen hohen zeitlichen Aufwand auch eine interdisziplinäre Verschränkung verschiedenster wissenschaftlicher Zugänge, um eine beweisbare soziokulturelle Verortung des Fundes zu bewerkstelligen. Dabei wird generell folgender Ablauf festgehalten:

  1. Besichtung und Generalkategorisierung des Fundmaterials
  2. Erhaltung und, soweit notwendig, physikalisch – chemische Konservierung
  3. Materialforensische Analysen der verwendeten Werkstoffe
  4. Interdisziplinäre Auswertung aller so erhaltenen Daten
  5. Arteologischer Endabgleich
  6. Erfassen des musealen und bildungstechnischen Potenzials
  7. Erstellung von Rekonstruktionen
  8. Weitere permanente wissenschaftliche objekt- und kontextbezogene Forschungen.

Allein die Besichtigung und Generalkategorisierung beanspruchte das Team mehr als eine Woche. Bereits nach zwei Tagen stellte sich heraus, dass zwei weitere Splitterteile nicht zum Fundstück „Kultgefäss“ (Arbeitstitel) gehören konnten, da ihre Oberflächentextur weder vom coloralen Konzept als auch von der Auftragungsbeschichtung in einem direkten Bezug zu den anderen Fundteilen standen. Gegen Ende der Woche gelang es zum ersten Mal aus den teilen als solches die Grundform des Kultgefässes in seiner Anschaulichkeit optisch zu erfassen. Dazu fotografierte der einheimische Fotografenmeister Herr Herwig Angerer jedes Fundteil in einer genau vorher festgelegten Winkelparamentierung, mit konstantem Abstand und möglichst schattenfreier Beleuchtung. Nach der fotochemischen Entwicklung der Bilder im campeigenen Labor, wurden die fotografischen Fundteile säuberlich ausgeschnitten und wie eine Art Puzzle auf gelegt. Daraus formte Dr. Arkadasch sodann in mühevoller Kleinarbeit das Kultgefäss nach und befestigte es mittels Stecknadeln um einen Kern aus runder Kartonage. Somit konnte erstmals gezeigt werden, dass die Henkelanordnung zu genau 180 ° gegenüber dem Mittelpunkt einer grösserflächigen Bebilderung mit einem leicht floralen Symbol und schriftzeichenartigen Kennzeichnungen liegt. Sowohl das leicht florale Symbol als auch die schriftzeichenartigen Kennzeichnungen sind in den Farben Schwarz und Gold gehalten.

Das florale Symbol wird aus einer blattähnlichen, in der Mitte geteilten Fläche gebildet, wobei die linke Blattseite ein senkrechtes, aus zwei Streifen bestehendes geometrisches Muster aufweist, und die rechte Seite von drei zacken- bis hackenartigen Querstreifen unterbrochen wird. Die Grundfarbe der blattähnlichen Flache ist Schwarz, während die eingelassenen Zeichen und Streifen golden sind. An der Spitze des Blattes ist ein aufgesetztes, detailloses Profil mit einer Art Ponyfrisur zu erkennen, welche am Scheitel eine kronenartige Haube (dreizackig) trägt. Über dieser Haube erhebt sich ein katzenartiges, auf seinen Hinterbeinen posierendes Raubtier, welches in seinen Vorderpfoten (vom Betrachter aus gesehen nach links zeigend) eine verkleinerte Form des Kultgefässes selbst trägt. Links und rechts des detaillosen Profils spriessen florale Ranken halbkreisförmig und stark verästelt um die blattähnliche Fläche. Insgesamt weist diese Symbolgruppe eine Höhe von 2,30 cm in der Breite als auch in der Höhe auf.

Links davon prangt ein viergliedriges, schriftzeichenartiges Gebilde, wobei das erste Zeichen dem Hauptzeichen der direkt darunter befindlichen schriftartigen Kennzeichnung weitestgehend entspricht und in seiner Grösse im verhältnis von 2:3 zu den beiden nachfolgenden zeichen steht, während das vierte wiederum die Grösse des ersten hat.

Rechts des floralen Symbols steht eine Kombination aus Strichen und Kreisen, welche aufgrund ihrer mathematischen Zuordenbarkeit auch als chronologische Verortung gedeutet werden können. Die Grösse dieser vier mathematischen Zeichen entspricht der Grösse des ersten schriftzeichenartigen Gebildes linksseitig des floralen Symbols.

Das Hauptaugenmerk fällt jedoch unweigerlich auf die 13 schriftzeichenartigen Gebilde, welche in einer Breite von 7,10 cm und in einer Höhe von 1,50 cm unterhalb des floralen Symbols angebracht sind. Auch hier wurden nur die Farben Schwarz und Gold verwendet. Allein schon die Zahl 13 nimmt direkten Bezug auf kultische Grundkonstanten, die aus sich heraus die Rechtfertigung für ornamentale Verallgemeinerungen innerhalb einer Sozietät nach sich ziehen. Dreimal wird dabei das selbe Symbol (Grundhöhe innerhalb der Schriftzeichenabfolge: 0,90 cm) verwendet, wobei es ein weiteres Mal, an dritter Stelle aufscheinend nahezu auf dem Kopf zu stehen scheint. Des weiteren wird ebenso drei Mal ein rechtshackiges, senkrechtes Symbol verwendet, welches sowohl von vorne gesehen an vierter Stelle liegt, als auch von rückwärts betrachtet und zudem den Abschluss dieser schriftzeichenartigen Reihe bildet. Bis auf ein weiteres, bogenförmiges Zeichen, welches genau die Mitte dieser Zeichenreihe bildet, weisen die restlich verwendeten Zeichen Ober- bzw. Unterlängen im Ausmass von 0,30 cm auf. Dass diese Anordnung auf mathematische, kultbezogenen Regeln beruht ist mehr als augenscheinlich. Ebenso verweist der reiche Gebrauch der Farbe Gold auf bewusst zur Schau gestellte hohe Wertigkeit und die Versymbolisierung von Natur (Blatt, Ranken), Mensch (Profilansicht mit kronenartiger Haube) und Raubtier, welches zudem am Kopfe des dargestellten humanoiden Profils steht, stellen einen direkten Bezug zu Göttergaben und Gebetsritualen her. Ein Opfergebrauch derartiger Gefässe ist nicht auszuschliessen.

Die letzte „Zeile“ dieser schriftzeichenartigen Gefässaussengestaltung besteht aus einem Block von vier Einheiten, wobei hier der eher streng geometrische Formenansatz der 13 schriftzeichenartigen Gebilde darüber nicht weiter verwendet wird, sondern mehr eine spielerische oder auch verspielte Komponente der Gestaltung zum Tragen kommt. Nach bisherigen wissenschaftlichen alphabetiven Ergebnissen dürfte es sich dabei mit grösster Wahrscheinlichkeit um eine Art Huldigung oder Segensspruch handeln, mit dem das Trankopfer (wobei anzumerken ist, dass es sich hierbei tatsächlich um einen rein theoretischen Ansatz handelt) eingeleitet oder aber abgeschlossen wurde.